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Die Zukunft der grafischen Industrie – ein Ausblick

Wenn Kunden heute einkaufen, kümmert sie die Technologie deutlich weniger als die Anwendung: Sie wollen maßgeschneiderte Lösungen für ihre Kommunikationsaufgaben, und das schnell. Und möglichst billig. Das spielt dem Digitaldruck in die Hände, und es wird die analogen Druckverfahren – Sieb-, Offset- und Tiefdruck – langsam, aber sicher obsolet machen. 

Bitte schicken Sie uns ein Angebot, 750 A0-Displays 2c auf PP-Boards, lieferbar in 7 Tagen, Lieferung an 38 verschiede Adressen« – Anfragen dieser Art hat wohl jeder Dienstleister schon auf den Tisch bekommen. Der zuständige Mitarbeiter hat sich womöglich über die Ungenauigkeit der Anfrage gewundert, und das auf die schwindende Fachkenntnis vieler Print-Buyer, Productioner und anderer mit dem Einkauf von Print-Produkten befasste Spezialisten geärgert. Doch sie zeigt deutlich, wohin sich der Markt entwickelt – der Kunde will seine Drucke jetzt, sofort, in hochwertiger Qualität, montagefertig verpackt und geliefert und vor allem: billig.

Wie der Dienstleister das zustande bringt – Digital- oder Offsetdruck, Laserbelichtung, Folienplot oder Farbkopie – interessiert ihn schlicht nicht mehr, Hauptsache, die Ware stimmt. Eigentlich sind das perfekte Voraussetzungen etwa für den Siebdruck – die Maschinen sind hochproduktiv und dank ihrer langen Lebensdauer nicht selten schon abgeschrieben ermöglichen sie bei höheren Auflagen konkurrenzlos billige Stückzahlen. Doch die konventionellen Druckverfahren sitzen in einem sinkenden Schiff, und das liegt nicht nur daran, dass die neuesten Modelle hochproduktiver Digitaldruckmaschinen, wie der Durst Rho 900/1000, HP-Scitex FB 7500 oder Inca Onset S20, den Punkt, an dem konventionelle Verfahren das einzelne Druckexemplar günstiger herstellen können, weit nach oben geschoben haben: Die gesamte Kommunikationsbranche ist in Bewegung.

Megatrend Individualisierung

Spätestens seit 2000 ist der Megatrend Individualisierung auch in der grafischen Industrie deutlich sichtbar – das 08/15-Plakat oder das Massenanschreiben ohne persönliche Anrede bleiben inzwischen de facto weitgehend wirkungslos. Bis das bei den Werbetreibenden und Mediaplanern ankommt, dauert es immer ein bisschen, doch inzwischen setzen selbst die Hersteller von Massengütern auf individualisierte, kleinteilige Werbung – Klasse statt Masse.

Wer im Internet einkauft und in jedem Mini-Shop dank Cookies im Browser persönlich begrüßt wird, für den gehen nicht individuell adressierte Botschaften schlicht im Meer der Werbeaussagen unter. Zielgenauere Werbung aber führt zwangsläufig zu immer niedrigeren Lauflängen. Bundesweite Kampagnen mit hunderttausenden von Quadratmetern Druck enthalten nicht mehr zehn, zwölf Motive, sondern unter Umständen Dutzende. In Essen will das Publikum anders angesprochen werden als in München, in Potsdam anders als in Bottrop, hinzu kommen die unterschiedlichsten Materialien vom Backlit bis zum Affichen-Papier.

Für analoge Druckverfahren, die unter Umständen noch für jedes Material verschiedene Farben und Druckvorlagen einsetzen müssen, ist das schon jetzt kaum mehr zu stemmen. Und wir sind noch nicht am Ende des Weges angekommen. Denn längst liegen straßen-, sogar hausweise differenzierte Daten über die Lebens- und Einkommenssituation der Bewohner vor, und sie werden zunehmend in Kampagnen genutzt. Welchen Sinn sollte es auch machen, etwa die  Mercedes-S-Klasse in einem ausgesprochenen Arbeiterviertel oder einen Extrem-Abenteuerurlaub in einem hauptsächlich von jungen Familien bewohnten Stadtteil zu bewerben? Doch Geomarketing-Kampagnen benötigen die Option, variable Daten schnell und sicher mehrfarbig  zu drucken. Das war noch vor wenigen Jahren eine hochpreisige digitale Spezialanwendung, heute wird sie von den Werbetreibenden einfach verlangt, oft genug, ohne dass ein Aufpreis in Rechnung gestellt werden könnte.  

Alles hört auf mein Kommando

Der Megatrend Individualisierung macht allerdings nicht bei der Kommunikation halt, längst ist er in die Industrieproduktion übergesprungen. Wer gibt sich heute noch mit einer Tapete zufrieden, auf der das halbe Motiv aus Platzgründen abgeschnitten werden musste, wer akzeptiert noch eine Möbelplatte, die sich mit dem Fußboden beißt – auch Konsumgüter müssen sich immer stärker an die Anforderungen jedes einzelnen Kunden anpassen. Die Zeiten, in denen riesige Lauflängen an Dekordrucken im Tief- oder Siebdruck hergestellt wurden, nähern sich langsam, aber stetig ihrem Ende. Denn Produktzyklen von mehreren Jahren sind auch in der Möbelindustrie und Inneneinrichtungsbranche nicht mehr durchsetzbar: Kunden und Gestalter erwarten eine neue Kollektion, spätestens zur nächsten großen Messe. Was dann noch an alten Designs auf Lager liegt, muss verramscht werden. Doch das ist angesichts knapper Margen allüberall immer weniger tragbar. Viele Drucke für industrielle Anwendungen werden heute noch konventionell, meist im Siebdruck, hergestellt.

Bei einigen wenigen wird das in absehbarer Zukunft so bleiben, nämlich dort, wo die aufzutragende Flüssigkeit sich der Piezo-Düse widersetzt. Doch wenn man bedenkt, dass heute bereits elektronische Leitungen, Solarzellen und vieles mehr digital gedruckt werden kann, lässt sich bereits absehen, dass Zahl dieser Anwendungen stetig sinken wird. Dadurch, dass UV-härtende Tinten schon heute auf nahezu jedem Material einsetzbar sind, wird zudem der Workflow verschlankt und professionalisiert, denn dadurch lässt sich das Farbmanagement quer durch alle Applikationen einer Kampagne vereinheitlichen – der Handwerker, der mit seiner Erfahrung die Druckfarben per Stellschraube an der Maschine regelt, wird vom Operator abgelöst, der nur noch das richtige Profil wählen muss. 

Lagerhaltung, Logistik und Umweltschutz

Druck ist heute nicht mehr nur ein Handwerk – gerade Unternehmen, die für große Handelshäuser tätig sind, müssen immer öfter auch ausgesprochene Logistikleistungen anbieten. So werden inzwischen häufig Pakete mit allen bestellten Werbemitteln direkt an die einzelnen Märkte großer Ketten geliefert. Werden die Drucke konventionell hergestellt, erfordert das eine ziemlich große Lagerhaltung. Zudem benötigt man viel Platz und erhebliche Kapazitäten für das Zusammenstellen der einzelnen Sendungen – in der Regel manuell, versteht sich.

Läuft die Kampagne früher als geplant aus, werden die überzähligen Drucke auf Lager zum Teil in großem Stil entsorgt. Müssen dagegen einzelne Exemplare nachgedruckt werden, ergibt sich ein unvertretbarer Aufwand, da die Vorlagen womöglich erst wieder neu erstellt werden müssen, wenn sie nicht vorsorglich eingelagert wurden. Die Übermengen, die bei konventionellen Verfahren sehr leicht zustande kommen, mag heute ebenfalls kaum mehr ein Kunde akzeptieren, Kosten verursachen sie trotzdem: Nachhaltiges, umweltschonendes, aber auch wirtschaftliches Drucken sieht anders aus. Der Digitaldruck bietet dagegen die Möglichkeit, alle für einen Adressaten bestimmten Werbemittel »im Set« zu drucken und ohne vorheriges Zusammentragen versandfertig zu machen – je nach Anwendung lässt sich dadurch ganz erheblich Arbeitszeit einsparen. Ob 1, 10 oder 100 Exemplare eines Motivs gedruckt werden, macht allenfalls bei der Weiterverarbeitung einen Unterschied.  

Von der Entwicklung eingeholt

Die konventionellen Druckverfahren wurden auf breiter Front von der Digitalisierung eingeholt. Wie die analoge Fotografie und der stationäre Fachhandel können sie sich nicht gegen den Trend stemmen und werden nur in Nischen überleben. Für einen begrenzten Zeitraum können sich etwa für Kombinationen aus Sieb- und Digitaldruck noch Vorteile ergeben, beispielsweise wenn bei höheren Auflagen der weiße Unterdruck oder die Drucklackierung in einer Siebdrucklinie erledigt werden. Doch die nächste Welle der Digitalisierung rollt bereits: P.o.S.- und Innenanwendungen werden in den nächsten Jahren häufig von Digital Signage ersetzt werden, die Auftragsvolumen also eher noch sinken. Die in der Zukunft fällige Verzahnung von Digital Signage und Druck lässt sich nur mit Digitaldruck stemmen – die Druckbranche muss sich digitalisieren oder untergehen.

Autorin: Sonja Angerer

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